Die Deutschen „frisieren“ gerne: Während europaweit nur zwölf Prozent aller Gebrauchtwagen einen gefälschten Tachostand aufweisen, sind es hierzulande 33 Prozent. Laut dem ADAC steigt der Preis eines gebrauchten Autos um durchschnittlich 3.000 Euro, wenn der Tacho mit einem Manipulationsgerät bearbeitet wurde. Lösungen gibt es für diese Betrugsmasche bislang kaum. In Belgien und den Niederlanden setzt man auf Zentralregister, allerdings sind diese Datenbanken teuer, und aus Datenschutz-Sicht bedenklich. Als Schutzmaßnahme wollen die Hersteller nun künftig auf eine neue Elektronikarchitektur setzen, die den Wagen per Luftschnittstelle, oder SIM-Karte, mit Sicherheits-Updates versorgen kann. Mit der eCall-Pflicht ist seit diesem Jahr jeder europäische Neuwagen ohnehin mit einem derartigen Telefon-Chip ausgestattet, der ihn mit dem Internet verbindet. Bosch will nun Blockchain-Technologie für die Sicherheit der Tacho-Daten einsetzen: Regelmäßig meldet der Wagen den aktuellen Stand an eine weltweit verfügbare, dezentrale Datenbank, die Echtheit der Daten wird über ein Zertifikat sichergestellt. „Herkömmliche Systeme lösen das Problem des fehlenden Vertrauens durch das Einsetzen einer dritten, vertrauenswürdigen Partei. Dadurch werden diese Systeme künstlich komplexer. Blockchain bietet hier eine elegantere und effizientere Möglichkeit, den eigentlichen Anwendungsfall umzusetzen,“ erklärt Continental-Technikchef Kurt Lehmann.
- Tachomanipulation ist in Deutschland ein großes Problem: In Deutschland liegt die Betrugsquote bei 33 Prozent, in ganz Europa nur bei zwölf.
- Die Blockchain-Technologie soll dagegen helfen. Das Auto sendet regelmäßig den Tachostand an eine Datenbank, die Echtheit der verschlüsselten Daten wird zertifiziert.
- Damit nicht genug: Per Blockchain sollen selbstfahrende Autos künftig auch Parkgebühren, Maut oder das Nachladen von Elektroautos bezahlen.
Waschen, saugen, Tacho frisieren. Der Dreh am Wegstreckenzähler macht kaum Mühe und bringt viel Geld. Der Wert eines Gebrauchtwagens hängt wesentlich vom Kilometerstand ab. Wer auf den Tachobetrug hereinfällt, kann schnell ein paar Tausender versenken. Die aufgehübschte Fahrzeughistorie lässt den Preis laut ADAC um durchschnittlich 3000 Euro steigen. Europaweit werden zwölf Prozent aller Gebrauchtwagen auf Basis gefälschter Zahlen verkauft, schätzt die Europäische Kommission. In Deutschland liege die Betrugsquote sogar bei 33 Prozent.
Ein lukratives digitales Geschäftsmodell also, bei dem keine Programmierkenntnisse nötig sind. Einfach das Manipulationsgerät für ein paar Hundert Euro an die einheitliche Diagnose-Schnittstelle anschließen und schon wird aus dem abgerittenen Vertreterauto ein selten benutzter Garagenwagen. Weniger getrickst wird in Belgien oder den Niederlanden, in denen es Kilometerstands-Datenbanken gibt. Solche Zentralregister sind allerdings teuer und kritisch in Bezug auf den Datenschutz. Außerdem bieten sie Hackern potenzielle Angriffsziele. Mittlerweile gibt es bessere Möglichkeiten, um die Fahrzeughistorie fälschungssicher zu dokumentieren.
Spötter sagen, dass den Autoherstellern bisher nicht viel mehr eingefallen ist als ein freiwilliges Service-Checkheft, um den betrügerischen Volkssport einzudämmen. Aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Schon vor mehr als zehn Jahren haben sie den Standard Hardware Secure Module (HSM) entwickelt. Entsprechende Prozessoren sind durch kryptografische Funktionen geschützt und lassen sich nur nach erfolgreicher Authentifizierung austauschen oder überschreiben. Aber wie es so geht in der Autoindustrie: Oft können Centbeträge über den Einsatz neuer Technologien entscheiden. Zumal der Manipulationsschutz ein ständiger Wettlauf mit der Gegenseite ist. “Diese verfügt neben hoher krimineller Energie auch über einen hohen technischen Sachverstand”, gibt der Autoverband VDA kleinlaut zu.
Datensicherheit im Auto gibt es nicht – es sei denn die Schutzmaßnahmen werden ständig aktualisiert. Die deutschen Hersteller wollen ihre kommenden (Elektro-)Fahrzeuge mit einer völlig neu entwickelten Elektronikarchitektur ausstatten. Wie bei Tesla können die Zentralrechner dann per Luftschnittstelle mit Updates versorgt werden. Weniger Aufwand macht eine simple Sim-Karte. Seit März dieses Jahres ist der eCall Pflicht für Neuwagen in Europa. Der Telefon-Chip für den Notruf kann auch zum Datenaustausch genutzt werden. Derart vernetzte Fahrzeuge sind also Teil des Internets und sie profitieren von dessen schneller Weiterentwicklung.
Blockchain-Daten könnten den Wiederverkaufswert steigern
Bisher ist das Web kein Vorbild beim Datenschutz. Persönliche Profile werden von Plattformen im großen Stil weiterverkauft oder manipuliert. Genau wie beim Tachobetrug stellt sich also die Frage der verbürgten und geschützten Identität. Der weltgrößte Automobilzulieferer Bosch will das Problem mit Hilfe der Blockchain lösen: Das Auto sendet in regelmäßigen Abständen den aktuellen Tachostand an eine sichere und weltweit verfügbare dezentrale Datenbank. Die Echtheit der Angaben wird über ein Zertifikat nachgewiesen, außerdem werden alle übertragenen Daten verschlüsselt. Beim Fahrzeugverkauf würde ein solcher Nachweis der aufgezeichneten Daten den Wert steigern.
“Der Einsatz von Blockchain hängt maßgeblich vom Verhältnis der Teilnehmer und weniger von der Technologie eines Anwendungsfalls ab”, sagt Continental-Technikchef Kurt Lehmann: “Herkömmliche Systeme lösen das Problem des fehlenden Vertrauens durch das Einsetzen einer dritten, vertrauenswürdigen Partei. Dadurch werden diese Systeme künstlich komplexer. Blockchain bietet hier eine elegantere und effizientere Möglichkeit, den eigentlichen Anwendungsfall umzusetzen.” Im Fall des Tachobetrugs wäre die dritte vertrauenswürdige Partei zum Beispiel eine zertifizierte Datenbank, bei Transaktionen haben Banken oder Kreditkartenunternehmen eine ähnliche Funktion. Sie sichern die Geschäfte ab und bürgen für die Stimmigkeit der Kassenbücher.
Autos, die sich ausweisen und Parkgebühren überweisen
Solche Zentralinstitutionen lassen sich ihre Services und nicht zuletzt ihre Vertrauenswürdigkeit bestens bezahlen. Die Blockchain ersetzt diese traditionelle Form der Absicherung unter anderem durch einen digitalen “Fingerabdruck”. Dieser Identitätsnachweis funktioniert für einen Menschen oder eine Maschine gleichermaßen. Als fälschungssicher gelten nicht nur die Verschlüsselungsverfahren, sondern auch die dezentrale Datenverteilung im Netz: Jeder Datensatz, egal ob Überweisung, Vertrag oder technische Parameter, wird auf vielen Rechnern gleichzeitig abgelegt und mit vorherigen Transaktionen untrennbar verbunden. Diese miteinander verketteten Datenblöcke (daher der Name Blockchain) lassen jede Manipulation durch Dritte automatisch auffliegen. Deshalb gilt die Blockchain als unhackbar.
Eine Technologie ohne Mittelsmänner, die Datensicherheit im Schwarm organisiert: Dieser Ansatz wird für die Autoindustrie umso interessanter, je mehr Mobilitätsdienstleistungen automatisiert ablaufen sollen. Der digitale Assistent kann zum Beispiel Parkplatzgebühren genauso zahlen wie Straßentarife oder das Nachladen des Elektroautos.
Heute ist das Bezahlen im Internet meistens auf einen menschlichen Akteur angewiesen: Der Kunde muss den angezeigten Preis per Knopfdruck akzeptieren und zum Beispiel seine Kreditkartennummer eingeben. Er bleibt das handelnde und juristisch verantwortliche Subjekt. Die Kosten solcher Transfers können bei Kleinstbeträgen höher sein als das eigentliche Benutzungsentgelt. Um sich von Banken und Kreditkartenunternehmen unabhängig zu machen, hat die Autoindustrie deshalb die Mobility Open Blockchain Initiative (MOBI) aus der Taufe gehoben. Anfang Mai gründeten BMW, Bosch, Ford, General Motors, Groupe Renault, ZF, Accenture, Context Labs, IBM und andere Player die Organisation, die zunächst einmal einheitliche Standards schaffen soll.
Noch ist den Autoherstellern eine gewisse Zögerlichkeit anzumerken, wenn sie die althergebrachten, zentralisierten Lieferketten und Angebotsstrukturen aufbrechen sollen. Getrieben von neuen Mobilitätsanbietern im Sharing-Bereich und einer Vielzahl von Start-ups aus der Finanzbranche (sogenannte Fintechs) müssen sie jedoch aktiv werden. “Wir können uns vorstellen, Themen wie Bezahlen oder Verträge (Smart Contracts), Fahrtenbuch oder Reparatur-Checkheft mit Hilfe der Blockchain zu lösen”, sagt ein Daimler-Sprecher.
Welche Rolle bleibt dem Autofahrer in der Maschinenwelt?
Die klassischen Systemzulieferer der Automobilindustrie sind da schon weiter. Sie wollen ihr detailliertes Fahrzeugwissen mit neuen datenbasierten Geschäftsmodellen kombinieren, um höhere Margen einzustreichen. Der Zulieferer ZF hat bereits Anfang 2017 die Mobilitätsplattform Car eWallet auf Basis der Blockchain vorgestellt. “Damit sollen technische Dienste, digitaler Handel und bargeldloses Bezahlen zwischen Herstellern, Zulieferern, Dienstleistern und Kunden radikal vereinfacht werden”, sagt Alexander Graf, der das ausgegründete Start-up leitet.
Heute braucht man einen Stapel von Kredit-, Park- oder Tankkarten, um in einer extrem heterogenen Mobilitätslandschaft voranzukommen. Roboterfahrzeuge versprechen künftig einen allumfassenden Komfort, da sind diese vielfältigen Abrechnungssysteme hinderlich. Um wirklich autonom zu sein, müssen sie Zahlungen selbständig genehmigen, ohne den Besitzer oder Nutzer zu aktivieren. Fragt sich nur, welche Rolle dem Autofahrer in dieser Maschinenwelt zukommt. Früher galt er als tollkühner Maschinist. Heute sieht er wie ein Pilot aus, der eine Heerschar von Assistenten beaufsichtigt. Eine glaubwürdige Identität für die Zukunft muss erst noch erfunden werden.
You must be logged in to post a comment.