In dem bodengebundenen Forschungsflugzeug wird das Kabinenklima mit Messtechnik samt spezieller Dummies untersucht.
Bild: DLR
Zum Start der Sommerferien sind Reisen innerhalb Europas wieder möglich. Doch wie groß ist das Risiko, sich im Flugzeug oder Zug mit dem Coronavirus anzustecken? Forscher untersuchen, wie sich die Viren in der Kabine verteilen.
Die Flugzeugkabine ist nur schwach besetzt, die wenigen Passagiere atmen Öltröpfchen aus. Das allerdings ist kein Zeichen für Gesundheitsprobleme: Es sind hochkomplexe Dummys – menschenähnliche Puppen, die bis hin zur Atmung die Körperfunktionen simulieren. „Wir testen mit ihnen die Luftströme in Flugzeugen und Eisenbahnwaggons“, sagt Andreas Dillmann, der am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen das Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik leitet. Die Dummys lassen sich beheizen, sie verbreiten Atemwolken – und werden eigentlich für Untersuchungen darüber genutzt, wie sich der Komfort an Bord verbessern lässt. Jetzt, in Corona-Zeiten, helfen sie den Wissenschaftlern, mögliche Infektionswege zu erkennen und zu unterbrechen.
Die Pandemie beschäftigt nicht nur Mediziner und Ökonomen, sondern Forscher aus allen denkbaren Disziplinen. Um den Schutz vor der Verbreitung des Virus geht es in ihren Untersuchungen – aber oft arbeiten sie auch an Messungen und Studien, die im „Normalzustand“ gar nicht möglich wären. Der Lockdown hilft ihnen dabei, beispielsweise Vergleichswerte über die Luftverschmutzung zu erheben, um damit ihre Modelle und Vorhersagen weiter zu schärfen.
Wann das Reisen wieder möglich sein würde, war seit Beginn des Lockdowns im März eine der brennendsten Fragen. Inzwischen ist klar: In den Sommerferien sind viele europäische Reiseziele wieder erreichbar. Damit rückt nun die Frage in den Mittelpunkt, wie sich der Weg in den Urlaub eigentlich sicher gestalten lässt. Andreas Dillmann ahnte früh, dass sein Institut bei diesen Untersuchungen eine wichtige Rolle spielen könnte: „Seit die Probleme mit der massenhaften Infektion von Gästen in Ischgl bekannt wurden“, sagt der DLR-Forscher, „war uns klar, dass die Sicherheit in den Verkehrsmitteln zum großen Thema wird.“
In seiner Forschung arbeiten er und seine Kollegen mit sogenannten Mock-Ups, also täuschend echt nachgebauten Innenräumen von Flugzeugen und Eisenbahnen. Damit können die Forscher genau untersuchen, wie Luftströme verlaufen und wohin sich beispielsweise die Atemwolken eines mit COVID-19 infizierten Passagiers verteilen – aber: „Die Bewertung der Ergebnisse liegt nicht mehr in unserer Zuständigkeit, wir sind Strömungstechniker und keine Virologen“, sagt Andreas Dillmann.
„Klar ist, dass es große Unterschiede zwischen Flugzeugen und Eisenbahnen gibt.“
Virologen halten sich bisher mit einer endgültigen Einschätzung zurück, denn obwohl einige Studien darauf hindeuten, dass sogenannte Aerosole eine Rolle bei der Verbreitung spielen könnten, fehlen harte wissenschaftliche Daten für eine Risikobewertung. Aerosole sind feine, beim Sprechen und Atmen entstehende Tröpfchen, die – im Gegensatz zu den beim Husten oder Niesen ausgestoßenen größeren Tröpfchen – nicht schnell zu Boden sinken, sondern länger in der Luft schweben können; teilweise Minuten oder sogar Stunden lang. „Im Freien spielen Aerosole bei der Übertragung von SARS-CoV-2 höchstwahrscheinlich eine untergeordnete Rolle. In geschlossenen Räumen, die schlecht belüftet sind, könnte das aber anders aussehen“, erklärt die Virologin Melanie Brinkmann, die am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) die Gruppe „Virale Immunmodulation“ leitet. „Die Übertragungswege von Viren aufzudecken, ist häufig ein sehr schwieriges Unterfangen. Wie groß der Anteil an Übertragungen von SARS-CoV-2 durch Aerosole ist, lässt sich bisher nicht eindeutig belegen“, so Brinkmann.
Aerosolverbreitung in Fahrgastkabinen
Über die Verbreitung von Aerosolen in der Luft können Andreas Dillmann und seine Kollegen allerdings klare Aussagen machen. Damit liefern sie einen wertvollen Mosaikstein für die Gefahrenbewertung. Die Öltropfen, die der Dummy in der Flugzeugkabine ausatmet, werden mit Laserstrahlen beleuchtet und dadurch sichtbar gemacht. Etliche hochauflösende Kameras verfolgen den Nebel, bis er schließlich von der Klimaanlage abgesaugt wird.
„Klar ist, dass es große Unterschiede zwischen Flugzeugen und Eisenbahnen gibt“, bilanziert Andreas Dillmann: So werden Flugzeugkabinen oft als geschlossenes System bezeichnet – die Luft wird abgesaugt, durch hochfeine Filter geleitet und dann wieder zurückgeführt, angereichert durch ebenfalls gefilterte Luft von außen. In der Luft, die aus den Düsen strömt, sind keine Coronaviren mehr enthalten. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass der Luftstrom von oben nach unten geht. Eine horizontale Luftströmung findet deshalb kaum statt. Die Wahrscheinlichkeit, sich durch feine Aerosoltropfen zu infizieren, die sich durch den Kabinenraum bewegen, erscheint daher gering. Problematisch ist eher der Kontakt zu den Personen in unmittelbarer Nähe. „Die entscheidende Frage ist tatsächlich: Werden die Viren rechtzeitig rausgefiltert?“, so Dillmann. Wie viele Passagiere in seiner Umgebung kann ein Patient also möglicherweise anstecken, bevor die Luft in die Filter abgesaugt wird?
Bei der Bahn hingegen funktioniert die Klimaanlage anders; sie nutzt Frischluft von außen und wälzt nicht die Innenluft einfach um. Die Fragestellung bleibt aber die Gleiche, und für Dillmann und seine Kollegen entsteht daraus eine zentrale Aufgabe: Sie arbeiten an Möglichkeiten, beispielsweise mithilfe von zusätzlich aufgestellten Gebläsen die Luftführung so zu verbessern, dass die Gefahr für Reisende möglichst klein wird – „und das, ohne die Waggons oder Flugzeugkabinen komplett auf den Kopf zu stellen“, sagt Andreas Dillmann. Denn für größere Umbauten ist vor der Reisesaison keine Zeit mehr.
Erste Messergebnisse sollen in wenigen Wochen vorliegen. Partner aus der Industrie können dann beginnen, die Ergebnisse in die Praxis zu übertragen – mit dem Ziel, die Passagiere bestmöglich vor Infektionen zu schützen.
19.06.2020 , Kilian Kirchgeßner
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